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Theoretische Betrachtungen zur persönlichen Entwicklung allgemein und zur Entwicklung und Integration der Haltung der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) im Besonderen
Der Ansatz, den ich hier aufstelle, ist inspiriert durch Erkenntnisse zur Persönlichkeitsentwicklung in den "Nicht-dualen Traditionen" im Zusammenhang mit "Eros", als der nach "Höherem" strebenden Energie (Weisheit) und "Agape", als der das "Niedere" umarmenden Energie (Mitgefühl). Diese Erkenntnisse stützen sich auf persönliche Erfahrungen von Menschen aus den letzten 2000 und mehr Jahren. Eine gute Darstellung der Zusammenhänge findet sich in Ken Wilber, "Eros, Kosmos, Logos" (Kap. 9).
Manche mögen einwenden, dass die Erfahrungen auf denen diese Erkenntnisse basieren, heute überholt seien, weil die Menschheit sich weiterentwickelt hat. Hier ist aber zu bedenken, dass "schon immer" jeder einzelne Mensch seine persönliche Entwicklung auf derselben Stufe begonnen hat. Und es gab auch schon vor 2000 Jahren weise Menschen, die sich weit über den Durchschnitt hinaus entwickelt haben. Deshalb meine ich, sind diese Erkenntnisse auch durchaus heute noch gültig. Ich meine sie sind sogar ein wertvoller Erfahrungsschatz, von dem wir viel lernen und auf dem wir aufbauen können...
Ich sehe zwei "Säulen", die beide allgemein für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung beachteswert sind.
Die erste Säule repräsentiert "Eros", die "aufsteigende Energie", das Streben zu "Höherem". Sie hat mit Weisheit und mit dem "nach dem Licht streben" zu tun.
In den spirituellen Traditionen geht es hier darum, das Lehrgebäude (im Buddhismus das Dharma) zu erlernen und die Meditation zu praktizieren. Reine "Eros-" oder "Aufsteigertraditionen" (im Christentum z.B. die Gnosis) praktizieren nur diese Säule, mit dem Ergebnis, dass sie der Welt / den Schatten entfliehen und alles weltliche (vor allem die großen Versuchungen Geld, Essen, Sexualität) ablehnen (was übrigens auch zu der Ablehnung des weiblichen / der Frau führte).
In der GFK geht es hier z.B. darum, das Modell der GFK zu erlernen und die Schlüsselunterscheidungen (die 4 Schritte sind die bekanntesten) kennen zu lernen.
Auch geht es darum, zu lernen was zur Verbindung beiträgt und was nicht - also die "GFK-Sprache" zu erlernen.
Ein weiterer Aspekt des Lernens ist bei dieser Säule, sich selbst verstehen zu lernen. Warum geht es mir in verschiedenen Situationen so oder so? Warum reagiere ich so oder so auf verschiedene
Situationen? Hier helfen uns die Erkenntnisse von Menschen, die typische Muster gefunden haben und "Landkarten" des Inneren erstellt haben. Erkenntnisse die die Frage beantworten: "Warum handle
ich in verschiedenen Situationen so oder so, und was kann ich tun wenn ich anders handeln möchte?"
Diese Säule ist für viele die einfachere, weil wir es gewohnt sind, Dinge zu erlernen / Wissen zu erwerben...
Die zweite Säule repräsentiert "Agape", die "absteigende Energie", das umarmen des "Niederen". Hier geht es um Mitgefühl.
In den spirituellen Traditionen geht es hier vor allem darum, Mitgefühl für sich und andere zu kultivieren. Reine Absteiger verlieren sich in der Welt und sehen z.B. Gaia als das höchste, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Hier gibt es keine Entwicklung zum Guten (höchtens vom Guten weg).
In der GFK geht es hier darum eine freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehung mit unseren Körperempfindungen und unseren Gefühlen aufzubauen. Diese als Freunde sehen zu lernen, die uns nur auf für uns wichtige Dinge hinweisen wollen.
In diesem Bereich geht es um "innere Erfahrung". Auch die Schlüsselunterscheidungen können "erfahren" werden (ich kann z.B. wirklich spüren wie es sich auswirkt, wenn ich in Verurteilungen
feststecke, im Vergleich zu, wenn ich mir die reine Beobachtung betrachte...). Ich kann jede Schlüsselunterscheidung wirklich erfahren - und das ist kein kognitiver Lernprozess sondern vor allem
ein "Erleben"...
Und bei dieser Säule geht es auch darum, sich selbst verstehen zu lernen - diesmal allerdings um ein emotionales Verstehen. Und bei diesem Verstehen geht es vor allem um Heilung von altem
Schmerz, denn der unverarbeitete Schmerz aus der jüngeren oder älteren Vergangenheit ist es, der uns Leiden und schließlich Gewalt anwenden lässt (gegen uns selbst und/oder gegen andere).
Das heißt nicht, dass wir "in die Vergangenheit gehen müssen" (das wäre die Falle hier), denn der alte Schmerz zeigt sich immer wieder in der Gegenwart: die Situationen, in denen wir uns ärgern,
Angst haben, oder sonst welche unangenehmen Gedanken oder Empfindungen haben, sind in der Regel Zugangstore zu unseren Verletzungen und wir können sie zur eigenen Heilung nutzen.
Die erste Säule ohne die zweite - "Eros" ohne "Agape" -, führt zu "Phobos", zu "Angst vor unseren Schatten". Im Alltag erfahren wir das so, dass wir uns von unseren Gefühlen
abschneiden; dass wir nicht mehr fühlen können wie es uns geht; wir haben keine Verbindung mit unserem Körper und unseren Emotionen... Wir kultivieren die Angst vor dem "Unangenehmen" in
uns (Angst, Ärger, Schmerz, ...) und suchen unser Glück im Genuss...
Ich glaube die allermeisten Menschen in unserem Kulturkreis kennen diese Tendenzen und die vielen Süchte, in unserer Gesellschaft (von Konsum, Fernsehen, Internetspielen, über Arbeit,
Sex, bis hin zu Glücksspielen und legalen und illegalen Drogen) sind Ausdruck des Phobos - letztlich ein vereiteltes Suchen nach dem Höheren...
Die zweite Säule ohne die erste - "Agape" ohne "Eros" -, führt zu "Thanatos", zu "Angst vor dem Licht". Im Alltag erfahren wir das als Stagnation, Resignation, Depression
- wir versinken im Unangenehmen, sind den Gefühlen ausgeliefert...
Ich glaube auch das ist vielen Menschen bekannt. Ich selbst hab in den letzten 10 Jahren besonders diese Säule betont, was mir die Verbindung zu meinem Körper und meinen Emotionen gebracht hat,
aber eben auch Lähmung und Stagnation.
Erst die Beschäftigung mit der GFK-Transformationsarbeit von Robert Gonzales mit seinen "Landkarten der Seele" und des Kultivierens der Verbindung zu der "Schönheit und der Fülle der erfüllten
Bedürfnisse", hat es mir ermöglicht, hier zunehmend ins Gleichgewicht zu kommen.
Daraus ergibt sich als Empfehlung für den Einstieg in die Persönlichkeitsentwicklung mit der GFK, eine Balance zwischen diesen beiden Säulen zu finden.
1.Säule - Eros:
- Die "Theorie" lernen und sich immer wieder regelmäßig darauf besinnen / sich regelmäßig davon inspirieren lassen durch Bücher, Workshopaufzeichnungen, DVDs, Seminare, ...
- Die Verbindung zu dem was wir uns wünschen kultivieren. Das Kultivieren der "Schönheit und Fülle der erfüllten Bedürfnisse" ist ein wichtiger Aspekt hier.
- Prozesse zur Umwandlung von unangenehmen Erfahrungen in die darunterliegende Lebensenergie erlernen.
- Austausch mit Gleichgesinnten sowie Inspiration durch Erfahrenere z.B. in GFK-Übungsgruppen.
2. Säule - Agape:
- Die Theorie "am eigenen Leib erfahren" (Seminare besuchen, Erfahrungsübungen machen, ...)
- Die Wolfsshow genießen lernen (ohne den Gedanken zu glauben).
- Die Verbindung zu dem Unangenehmen in uns kultivieren. Die Angst vor dem
Unangenehmen in uns abbauen und es immer mehr mitfühlend umarmen lernen - und die Sehnsucht dahinter kennen lernen.
- Feiern und Trauern kultivieren.
- Prozesse zur Umwandlung von unangenehmen Erfahrungen in die darunterliegende Lebensenergie anwenden.
- Regelmäßig Zeit nehmen, alleine und mit Hilfe anderer die unangenehmen Alltagserfahrungen bewusst zu machen und sie umzuwandeln, z.B. in GFK-Empathiegruppen
oder mit Empathiepartnern (auch Marshall selbst braucht übrigens andere Menschen, die ihn unterstützen!!!).
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