Letzten Sonntag kam ich von den intensivsten und transformierendsten 14 Tagen seit Jahren zurück und ich fühle mich immer noch erschöpft und kraftvoll zugleich.
Was diese Tage so wertvoll für mich gemacht hat, waren vor allem die Menschen, die mir in den Zeiten mit Liebe und Mitgefühl begegnen konnten, in denen ich selbst nicht mit mir zufrieden war oder mich gar selbst verurteilt hatte. Die Liebe und das Mitgefühl dieser Menschen hat mir geholfen Liebe und Mitgefühl für mich selbst zu entwickeln und dadurch, mich neuem zu öffnen und zu lernen...
Dadurch konnte ich erst sehen, dass ich das was ich bei anderen abgelehnt habe (vor allem Angst und Ärger) im Grunde in mir selbst ablehnte - Im Innen wie im Außen... Und ich konnte mit meiner Angst und meinem Ärger Frieden schließen. Ich habe gemerkt, dass ich in meinem Leben meiner eigenen Angst meistens dadurch ausgewichen bin, dass ich nach etwas gesucht habe, was ich tun kann... , dass ich Lösungen oder Wege gesucht habe... , vor allem weil ich einfach die Angst los werden wollte.
Aber auch die andere Richtung meiner Angst auszuweichen kannte ich: zu resignieren und mich zu betäuben mit meinen persönlichen kleinen und großen Süchten... Mit Sucht meine ich hier alle Angewohnheiten, die uns unfrei machen - und können nicht nur Glücksspiele, Medikamente (zur Anregung oder Beruhigung) und Drogen (Rauchen, Alkohol, illegale Drogen), sondern viele Dinge vom "Shoppen" oder Konsum allgemein bis zu Fernsehen, Computerspiele, Arbeiten, Sex, Geld und Macht.
Ich denke, das Ausweichen von dem Unangenehmen in uns (Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen) ist die Hauptursache für die vielen verschiedenen Süchte in unserer Gesellschaft...
Jedenfalls habe ich es während dieser wertvollen 14 Tage mit Hilfe der Liebe und des Mitgefühls anderer geschafft, liebevoll und mitfühlend mit diesen unangenehmen Anteilen in mir zu sein. Ich hab es geschafft, das Unangenehme in mir liebevoll anzunehmen, ihm Raum zu geben... Dadurch konnte ich mit der Sehnsucht hinter dem Unangenehmen in Verbindung kommen und sie spüren... Dann kam ich in Verbindung mit Trauer und ich konnte mich entspannen... Was für eine Entlastung!
Wie kam es dazu? Seit einigen Jahren schon unterstütze ich immer wieder auch Menschen in Beziehungskonflikten auf verschiedene Weise erfolgreich dabei, ihre Konflikte zu lösen. Die GFK und hier besonders die Arbeit von Robert Gonzales sind für mich dabei eine wichtige Grundlage. Vor einem Jahr habe ich selbst wieder eine Partnerschaft begonnen und diese Partnerschaft war für meine Freundin und mich sehr herausfordernd, weil wir beide mit unseren jeweils schmerzhaftesten Themen - und unseren damit zusammenhängenden Ängsten konfrontiert wurden.
Die Beziehung ist inzwischen in ihrer bisherigen Form beendet und heute, nach diesen letzten beiden Wochen, bin ich sehr froh über diese Zeit, weil bei mir dadurch alte Verletzungen heilen konnten und ich frei von Zwängen und Ängsten geworden bin, die mich schon so lange begleitet und besonders meine nahen Beziehungen gravierend beeinflusst haben.
Heute sehe ich klar, was mich unterstützt hat und was nicht und es scheint mir gerade so klar, was Paare allgemein unterstützen kann, wenn sich die Partner jeweils in ihren eigenen inneren Konflikten verfangen - und ich freue mich darauf, diese Erkenntnisse in meiner Arbeit umzusetzen...
Gleichzeitig spüre ich noch viel Trauer, wenn ich daran denke wie viel Leid bei meiner Ex-Freundin und mir ausgelöst wurde, durch das was der jeweils andere getan hat... Wenn wir die Unterstützung gehabt hätten (und sie hätten annehmen können), die wir gebraucht haben, wäre das Lernen weniger leidvoll gewesen, davon bin ich überzeugt...
Nachdem wir uns 3 Monate nicht gesehen hatten und kaum miteinander geredet haben, sind meine Ex-Freundin und ich uns während dieser transformierenden vergangenen 14 Tage immer wieder begegnet. Wir waren beide auf einem GFK-Seminar mit Robert Gonzales bei dem ich assistiert hatte, und anschließend waren wir beide letzte Woche als Teilnehmer auf einem 7-tägigen Retreat mit Robert Gonzales.
Die Begegnungen mit ihr hatten immer wieder bei uns beiden Unangenehmes ausgelöst. Und Mitte der zweiten Woche ist mein Versuch, ein klärendes Gespräch zu führen eskaliert und das war für mich sehr schmerzhaft. Ich war nicht zufrieden mit mir / hatte Urteile über mich, deren ich mir zum großen Teil gar nicht bewusst war...
Am nächsten Morgen kamen dann ein paar Menschen, die bei dem Klärungsversuch am Vortag dabei waren, auf mich zu und haben mich einfach in den Arm genommen... Das war für mich so berührend und heilsam, dass ich es kaum beschreiben kann... Ich musste mich nicht mehr schützen, konnte mich plötzlich entspannen und Mitgefühl mit mir selbst finden / meine Trauer über das wie es ist zulassen... Das und die Workshops von Robert Gonzales haben mir mehr und mehr geholfen, zu erkennen, dass ich eigentlich gegen meine eigenen Anteile gekämpft habe und meine Freundin nur ein Spiegel für mich war...
Das was ich theoretisch schon so lange wusste, dass alles was uns im Außen ärgert oder stört, immer (auch) mit unseren eigenen Anteilen zu tun hat, hab ich am eigenen Leib erfahren: Ich hab plötzlich klar sehen können, dass ich ihre Angst und ihren Ärger "wegmachen" wollte. Ich hatte Angst vor ihrer Angst und ihrem Ärger - und hab im Grunde in ihre meine eigene Angst und meinen eigenen Ärger bekämpft und unterdrückt - und konnte sie dadurch in ihren Ängsten nicht hören und sie nicht verstehen und mitfühlend für sie da sein - und das schon Monate nicht mehr...
In den letzten Tagen des Retreats konnte ich üben mit dem Unangenehmen in mir (vor allem meinen Ängsten) umzugehen. Immer wieder wurden Gedanken bei mir ausgelöst und wenn ich ihnen nachging (meistens hab ich dann Auswege / Lösungen gesucht), konnte ich sofort spüren wie der Druck und die Anspannung in mir anstiegen. Zunehmend hab ich es geschafft, die Anspannung liebevoll anzunehmen und mich in die darunter liegende Sehnsucht sinken zu lassen - vor allem der Sehnsucht nach Zuwendung und Zärtlichkeit und Nähe und danach, jemandem etwas zu bedeuten...
Über diese Sehnsucht kam ich mit meiner Trauer darüber in Verbindung, dass diese Bedürfnisse im Moment in meinem Leben hungrig sind - und die Anspannung hat sich auflösen können... Diese Trauer war für mich genau so lebendig und bereichernd wie Freude - und das hat mich wieder mal an das erinnert was ich schon oft durch Empathie erfahren habe und was Marshall als den "süßen Schmerz" bezeichnet (sweet pain), den wir genießen sollen... Was für eine Entlastung und Befreiung...
Was mir dabei geholfen hat war, mich immer wieder dafür zu entscheiden, dass das Leben für mich sorgen wird / dass ich mit dem was kommen wird umgehen und für mich sorgen können werde. Die Erfahrungen mit der Entspannung des Unangenehmen in mir haben mich dabei natürlich sehr untersützt.
Wenn die Trauer dann ganz natürlich nachließ habe ich mich dann auch immer wieder mit der Schönheit und der Fülle dieser Bedürfnisse verbinden können. Ich schaffte es immer wieder, zu spüren wie es für mich ist, die Nähe und Zärtlichkeit und die Zuwendung zu erleben, nach der ich mich sehnte... Und das hat mir neue Kraft gegeben, Kraft auch dafür, mit dem Unangenehmen in mir, wenn es wieder kam aufkam, liebevoll umgehen zu können...
Insgesamt war diese Erfahrung eine Befreiung für mich - eine Befreiung von einer Angst, die ich schon seit vielen viele Jahren in mir getragen hatte - vielleicht schon seit meiner frühen Kindheit und die sich besonders in nahen Beziehungen ausgewirkt hat...
Und auch wenn ich sicher wieder in die Fallen tappen werde und mich diese Angst wohl auf einer weniger deutlichen Ebene wieder finden wird, so bin ich doch sehr zuversichtlich, dass ich es merke und mir die Unterstützung holen können werde, die mich nährt und mir erlaubt diese Angst zu hören, zu verstehen und mitfühlend mit ihr sein zu können, ohne ihr zu "glauben"...
Die Erfahrungen dieser letzten 14 Tage haben für mich eine neue Dimension zu der GFK, wie sie Robert Gonzales zur Zeit lehrt, erschlossen und ich möchte in der nächsten Zeit die Erkenntnisse daraus an dieser Stelle herausarbeiten und dadurch anderen zur Verfügung stellen...
Viele herzliche Grüße
Volkmar Richter
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Silke Brackert (Donnerstag, 14 Juli 2011 17:19)
Lieber Volkmar,
vielen Dank für diese Schilderung deines eigenen Prozesses. Gerade die "Arbeit" an den Schattenanteilen ist leider oft schmerzhaft und schwierig. Aber auch ich habe erlebt, wie hilfreich dann Menschen sind, die diesen schmerzvollen Prozess liebevoll begleiten mit einer Umarmung und mit einer besonderen Prozessbegleitung. Jedoch habe ich auch sehr tiefe und schmerzhafte innere Prozesse alleine bewältigt.
Oh ja, gerade die Partner und die Kinder sind so oft Spiegel für uns....Und es ist nicht leicht in diesen zu schauen. Aber wenn man sich traut, dann kann man als Mensch irgendwie "ganzer" werden. Und auch die abgespaltenen Teile lieben und annehmen.
Liebe Grüße
Silke
Raffaela (Montag, 12 August 2013 11:35)
Fand es auch sehr interessant diesen Prozess hier nachlesen zu können. So sieht man viele Dinge auch aus einer anderen Perspektive, was ich zwischenzeitlich schon als sehr wichtig erachte.